
Was habe ich Frankreich vermisst! Das dem so ist, war mir gar nicht bewusst – bis zu dem Moment, als wir vor ein paar Wochen den Innenhof des alten Weingutes in der Nähe von Narbonne betraten und der Schotter unter meinen Füßen knirschte. Als die hochgewachsenen Platanen mich mit ihrer Nonchalance und die anderen sich in ihren Schatten aalenden Gäste mit dieser bestimmten Lässigkeit grüßten. Dieser mit sich selbst und dem Leben ziemlich zufriedenen Lässigkeit, die einen in Frankreich überkommt.
Im Laufe meines Lebens haben sich meine Wege immer wieder mit diesem Land gekreuzt. Schließe ich die Augen und denke Frankreich, sehe ich augenblicklich die vor Hitze flimmernde Cote d’Azur meiner Kindheit und Jugend mit ihren gewundenen Küstenstrassen und versteckten Buchten. Zeiten voller Sorglosigkeit und Glück. Ich erspähe den wogenden Atlantik der windumpeitschten Normandie, Gedankenfetzen an eine kurze Reise, an die ich mich kaum mehr erinnere. Aber der französische Grundton, der klingt nach. Unvergessen meine einsame Woche in der Champagne. Voller Überzeugung ersetzte ich in meinem damaligen kosmopolitischen Selbstverständnis als weltgewandte Gymnasiastin meine eigene durch eine französische Gastfamilie – und litt am Ende Qualen vor lauter Heimweh. Da half auch die Schönheit der Landschaft nichts.
Und Paris! Natürlich, Paris! Mit blutjungen 18 durchstreifte ich die Stadt mit meinen beiden besten Freundinnen. Wir waren auf der Suche nach dem großen Abenteuer, verguckten uns erst in den Eiffelturm, dann in eine Gruppe süßer Franzosen und brachten schließlich den gesamten Reisebus gegen uns auf, weil wir viel zu spät und total verschwitzt am vereinbarten Treffpunkt ankamen.
Wir haben damals so viel gelacht und und so wenige Fucks gegeben auf irgendwas oder irgendwen.
Paris lag mir zu Füßen, wieso also nicht die ganze Welt?

Einige Jahre später stromerte ich eine goldene Herbstwoche lang an der Hand meines Freundes durch die Stadt. Tres amoureux, was sonst? Schließlich ist das Paris! Wir lachten darüber, dass er das romantische Boutique-Hotel zum falschen Datum gebucht hat und verschlenderten die sonnenverwöhnten Tage in den unzähligen Parks und Museen, versassen sie in den Strassencafes und malten uns verschwörerisch mit akribischer Genauigkeit und bar jeden Ernstes das Leben der uns am interessantesten erscheinenden Passanten aus. Hätten wir nicht wieder an die Uni gemusst, wären wir geblieben.
Ein Beret hatte ich ja schon. Wir waren in den letzten Jahren immer wieder gemeinsam in Paris und ließen uns treiben, das können wir als Paar in Paris so gut wie nirgendwo sonst.
Frankreich hat mich einfach.

Zurück in die Gegenwart: Der Südwesten ist ein wahres Fest. Hübsche Strände, frischeste Meeresfrüchte, aufsehenerregende Salzsalinen. Im Hinterland urige Bergdörfer, der Canal du Midi, Höhlen vom Feinsten. Montpellier, Carcassonne, Beziers, Narbonne, das katalanische Perpignan, allesamt voller Geschichte und noch mehr Trubel. Wir haben viel gesehen und viel erlebt und genauso lieben wir unsere Reisen. Jahr für Jahr an den immer gleichen Ort zu fahren (außer bei dem Ort handelt es sich um Paris, versteht sich;-)) – dafür finden wir die Welt da draußen viel zu spannend. Egal wie fest wir uns vornehmen, an die Orte, die uns begeistern, wiederzukehren – wir schaffen es in den wenigsten Fällen. Die Welt hat einfach viel zu viel zu bieten, das noch von uns entdeckt werden will. Es gibt Urlauber und es gibt Reisende – wir zählen zu Letzterem.
Unser Horizont ist weit und soll noch weiter werden.

Wir möchten unseren Kindern die Vielfalt und Schönheit zeigen, die unsere Welt zu bieten hat. Sie persönlich verbinden mit dem, was wir so schützenswert finden. Ihnen unterschiedliche Kulturen und Lebensweisen näher bringen und dabei lehren, das anders meistens nur anders ist. Nicht besser oder schlechter.


Sie sind die Menschen, die sie sind. Der/die eine offener, der/die eine zurückhaltender und vorsichtiger. Ändern möchte und kann ich sie nicht, aber ich kann bereitstellen. Und vielleicht damit dazu beitragen, dass sie lernen, ihre persönliche Sicht auf Dinge nicht mit dem Epizentrum der Welt zu verwechseln. Ich würde ihnen gerne mitgeben, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Geschmäcker haben, dass weder das eine noch das andere falsch oder richtig ist, sondern nur durch die eigene Brille, meine eigenen Werte das Label falsch oder richtig erhält. Das muss aber längst nicht für den Menschen neben mir gelten.
Würden mehr Menschen verstehen, dass es nicht die eine richtige Version von Leben gibt, sondern das nur ihre ganz persönliche Interpretation davon ist, wäre zwischenmenschlich viel gewonnen.

Das ist mir persönlich ein großes Anliegen. Empathie für unsere Mitmenschen entsteht da, wo wir verstehen, dass wir nicht gleich sind aber trotzdem gleichwertig. Kehren wir vor unserer eigenen Tür bevor wir die Anderen verurteilen oder ihnen gar vorzuschreiben versuchen wie sie ihr Leben zu gestalten haben.
Der Bogen war jetzt gedanklich sehr weit, ich weiß. Ewig nur im gleichen Saft zu schmoren tut nicht gut – weder dem Selbstverständnis noch dem Herzen. Sich lockern, lösen, mal durchlüften im Mief der eigenen Einbildung. Das kleine Wörtchen Französisch löst bei mir Gedanken an Lässigkeit aus, dem offen aber gleichzeitig ganz bei sich bleiben, an Genuss. Um das eigene Leben genießen zu können muss man loslassen können. Sich lösen von Erwartungen – den eigenen und den der Mitmenschen.