2020 – K.o. ist o.k.

Das hier sollte ein richtig guter Jahresrückblick werden. Ein kleiner, aber feiner Text, der versucht, über die Banalität seines Themas hinauszuwachsen, indem er Geschehenes und Erlebtes mit universellen Fragen und persönlichen Versuchen von Antworten verbindet. Schön wär’s gewesen, aber ich schaffe das gerade nicht. So gar nicht.

Alles, was ich nach diesem Jahr tun möchte ist NICHTS. Einfach gar nichts. Mal eben nur abspülen? Noch schnell ein paar gebrannte Mandeln machen? Fix einen weiteren Papierstern zusammenklöppeln? NEIN. Mit Nichts meine ich nichts als meinen drei Kindern beim fantastisch sein zuschauen, vom Sofa aus, mit einem großen Becher heißem Kaffee in der einen und der Hand meines Mannes in der anderen Hand. Das genügt.

Nach diesem Jahr bin ich k.o. und das ist o.k.

Pandemie, Lockdown, Home Schooling. R-Wert, Kontaktperson, Maskenpflicht. Social Distancing, Mindestabstand, Risikogruppe. Jemand hier, der noch nicht Corona-müde ist? Ich nehme das alles sehr ernst, gar keine Frage. Quer- und um die Ecke denken war schon immer eine meiner größten Stärken, aber mit denen, die das in 2020 für sich entdeckt zu haben glauben, habe ich so wenig am Hut wie ein überzeugter Veganer mit einem Discounter-Schweinerollbraten. Doch wie die meisten von uns sehne ich mich nach der alten Normalität und sei es nur um der Kinder willen, die die Welt nicht mehr verstehen und einfach nur schwimmen gehen oder wenigstens ins Indoor-Bällebad hüpfen wollen. Gleichzeitig bin ich unheimlich stolz auf uns, wie gut wir dieses verrückte Jahr gemeistert haben, trotz der vielen großen Steine, die es uns zwischen die Beine geworfen hat.

Ich muss an dieser Stelle direkt ein Geständnis machen: Corona hat hier nicht die grössten Steine beigetragen, so sehr dieses Virus an vielen anderen Familien gezehrt hat. Bis auf eine Ausnahme, die ich hier nicht thematisieren möchte, war das Pandemie-Geschehen kaum mehr als ein Hintergrundrauschen in unserem Leben. Diesen milden Verlauf verdanken wir unserem aktuellen Familienmodell. Das ist ein großes Privileg, ich bin mir dessen bewusst und bin sehr dankbar dafür.

Manchmal hat man einfach nur Glück.

Dafür hat uns 2020 auf persönlicher Ebene viel abgefordert. Ein sehr aktives und risikobereites Kleinkind, das es in einem anderen Jahr gut auf die Nummer 1 der Hitliste der Herausforderungen hätte schaffen können – war vom Ende her besehen auch nicht der größte Stein. Der Brocken, der zwei von uns (und damit auch die gesamte Familie) heftig ins Straucheln gebracht hat, war von ganz anderer Natur. Für einen kam er fast schon erwartet, für den anderen sehr überraschend. Es musste angenommen, akzeptiert, verdaut werden. Unsicherheit und viele offene Fragen gehörten mit zum Paket. Menschen, die es einem noch schwerer machen als es eh schon ist, kamen – wie eigentlich immer in solchen Situationen – verlässlich aus ihren Löchern gekrochen. Aber wir hielten fest zusammen und bildeten eine Schutzmauer um uns herum. Fanden den Lichtschalter, der Klarheit in dieses diffuse Dunkel brachte, in dem wir schon zu lange orientierungslos umhergetappt waren. Jetzt konnten wir anfangen, Lösungen zu finden für das, was endlich ein Gesicht bekommen hatte. Es war schwer, aber gleichzeitig sehr erleichternd. So Vieles, das uns die Jahre davor Schwierigkeiten und Sorgen bereitet hatte, wendete sich bereits in wenigen Wochen zum Guten.

Ein langer Weg liegt noch vor uns, das wird kein Sprint, sondern ein Marathon.

Aber wir haben jetzt eine Karte, an der wir uns orientieren können sowie viel professionelle Hilfe. Das ist fantastisch und mehr als man in diesen Zeiten erwarten darf. Der Mann und ich müssen uns manchmal immer noch gegenseitig zwicken, um wirklich glauben zu können, was für ein Glück im Unglück wir mal wieder gehabt haben.

Und sonst so?

Wir haben insgesamt echt viel gestemmt in den letzten zwölf Monaten. Eltern von drei Kindern sein, diese Rolle üben wir noch. „Das Dritte erzieht sich von selbst“? Das trifft bei uns definitiv nicht zu (auch wenn wir es ein klein bisschen gehofft haben, zugegeben).

Jedes weitere Kind ist genau ein weiteres Kind mehr, das betreut, durch den Tag gebracht, finanziert werden muss.

Vielleicht bezieht sich dieses geflügelte Wort auch eher auf die Lernkapazitäten des dritten Kindes? Was das angeht, erzieht sich die Erbse tatsächlich wie von selbst. Wo wir die ersten Beiden unterstützend an Besteck, Roller und Laufrad heranführen mussten, bringt sie sich völlig eigenständig und fast an uns vorbei das Meiste selber bei. Wo wir ihr noch Zeit zugestehen möchten, weil wir sie für das eine oder andere noch für zu jung halten, hat sie eine völlig andere Meinung darüber. Ihr Wille, es den beiden Großen gleichtun zu wollen, ist unbändig groß. Überhaupt ist sie so ein willensstarkes, fröhliches kleines Ding. Die beiden Großen lieben sie von Herzen und betüddeln sie, wann immer sie können. Wertvolle Zeit für die Kinder, um starke Bande zu knüpfen und wertvolle Zeit für mich, in der ich auch mal in Ruhe die Spülmaschine ausräumen kann.

2020 hat mir gezeigt: endlose Gedanken über den richtigen oder falschen Altersabstand sind vergeudete Zeit. Ein Neunjähriger und eine Einjährige werden sicher nie die engsten besten Buddies. Aber sie haben eine liebevolle Fürsoge-Beziehung zueinander, in der einer Vorbild sein darf und lernen kann, sich zu kümmern. Und die andere aufschauen und es genießen darf, sich von einem umsorgen zu lassen, der kein weiterer Erwachsener, sondern ihr toller großer Bruder ist. Dafür turteln die beiden Schwestern heftig miteinander. Und mein Herz schmilzt nicht einfach nur, es verwandelt sich jedes Mal in einen riesengroßen Schoko-Gefühle-Brunnen.

Das ist so wunderschön an diesem größeren Altersabstand: die älteren Geschwister gehören mit zu dem berühmten Dorf, das es braucht, um ein Kind großzuziehen.

Überhaupt werden die drei so schnell groß. Unser Junge bringt den Müll raus und geht im Supermarkt Besorgungen machen, wann ist das passiert??? Seit ein paar Monaten haben wir auch kein Kindergartenkind mehr, die Midirakete wurde eingeschult und könnte darüber glücklicher nicht sein. Endlich scheint sie richtig angekommen. Den Kindergarten fand sie nicht übel, aber auch nicht so richtig Bombe. Schule dagegen liebt sie heiß und innig. So sehr, dass sie uns überreden konnte, sie nachträglich noch in der Nachmittagsbetreuung anzumelden. Und in ihrer Freizeit Schularbeiten machen zu dürfen. Eine ganz neue Erfahrung für uns.

Kinder sind so wahnsinnig verschieden, das habe ich in diesem Jahr auch noch einmal tiefer lernen dürfen. Sie kommen mit ihrem eigenen Betriebssystem auf die Welt, so viel müssen und können wir Eltern da gar nicht mehr machen. Sie sind perfekte kleine Menschen, denen es einzig und allein an Erfahrung fehlt im Umgang mit diesem Leben. Alles andere bringen sie bereits mit, wenn sie schlüpfen. Wir verstehen unseren Jobauftrag so: Da sein, unerschütterlich sein, Liebe geben – bis zum Abwinken. Und sie ihre Erfahrungen selber machen lassen.

Das ist das Härteste am Elternsein.

Nicht die vielen durchwachten Nächte, der Verzicht auf Zweisamkeit, die Fremdbestimmung. Sondern das Nichtstun. Ihnen nicht vorzuschreiben, was sie anziehen sollen, weil wir ein bestimmtes Bild von uns und unserer Familie erzeugen wollen oder uns selber gerade kalt ist. Unseren eigenen Geschmack zurückstellen, wenn es um ihre Kinderzimmer geht und sie ihre in Hinblick auf Stil fragwürdigen Einhorn- und Star-Wars-Poster aufhängen lassen. Uns nicht einzumischen, wen sie sich als Freund/in aussuchen, auch wenn wir manchmal denken: tut dir dieses Kind wirklich gut?

Sich zurückzuziehen und ihren Weg selbst gehen zu lassen kann verdammt schwer sein. Aber uns ist sehr wichtig, dass sie jetzt in aller Ruhe ausprobieren können, wer sie sind und wer sie nicht sein wollen. Welche Menschen Ihnen gut tun und welche nicht. In dem geschützten elterlichen Rahmen, den wir ihnen jetzt bieten können. Dieser wertvolle Erfahrungsschatz wird sie für den Rest ihres Lebens gut wappnen, dran glauben wir fest.

Sie dürfen ihren eigenen Weg gehen und wir sind immer ganz in der Nähe, falls sie sich mal verirren. Und reichen ihnen unsere helfende Hand, wenn sie danach fragen.

Neben Mutter sein und Familie gab es in 2020 auch noch mich, Barbara. Die, die gerne träumt und plant und stets nach neuen Möglichkeiten sucht, dazu zu lernen. Dieses Jahr fand ich mein Abenteuer gleich vor der Tür, in meinem winzig kleinen Garten.

Als es Anfang des Jahres draußen stürmte und der Regen an die Scheiben peitschte, durchstöberte ich gelangweilt das Internet nach neuen Inspirationen – und stolperte dabei versehentlich über einen Gartenblog. Gemüseanbau reizte mich nicht, aber eine Sache erregte mein Interesse: die Autorin behauptete, ich könne innerhalb kurzer Zeit die schönsten und unkompliziertesten Schnittblumen anbauen und von da an 2 bis 3 Sträusse pro Woche ernten. Mein Garten bestand bisher aus Rasen, ein paar Gräsern, dem einen oder anderen kleinen Baum. Mittendrin noch ein kleines Beet voller bunter Blumen? Dieses Bild bekam ich nicht mehr aus dem Kopf. Vom Gärtnern hatte ich wenig Ahnung und mit Schnittblumenanbau keinerlei Erfahrung, aber ich trug eine große Sehnsucht in mir. Das musste reichen.

Einfach machen! Mehr als schiefgehen konnte es nicht.

Die Mission begann dort, wo alle Ahnungslosen ihren Anker suchen: bei der Theorie. Abend für Abend und Nacht für Nacht durchforstete ich zig Garten-Blogs und Artikel nach Infos und Inspirationen, saugte mich voll mit Wissen. Bis ich mich bereit fühlte und es wagte, mein allererstes Saatgut zu bestellen. Viele Wochen lang zog ich mit grösster Sorgfalt und Liebe winzige Keimlinge an einem hellen Platz in unserem Schlafzimmer hoch. Die Erbse ratzte friedlich zwischen uns im Bett während nur wenige Meter weiter klammheimlich kleine Schönheiten zu neuem Leben erwachten. Als der Frühling Licht und Wärme brachte, legte ich hingebungsvoll ein neues Beet an, bettete meine Zöglinge zärtlich dorthin um und wartete. Und hoffte. Und lernte: Geduld ist beim Gärtnern die goldene Disziplin.

Meike Winnemuth sagt: „Zu Gärtnern heißt, zu hoffen„.

Die Pflänzchen wuchsen und Anfang des Sommers reckten sie die ersten von hunderten Blüten der Sonne entgegen. Und ich? Schnitt den ganzen Sommer über Dutzende von Sträußen und lernte, wieder zu staunen und glücklich zu sein über die einfachen Dinge. Das Leben meinte es in 2020 nicht immer gut mit uns, aber diese fünf Quadratmeter Leben, die haben es geschafft, mich immer wieder zu erden. Damit es hier blühte, musste ich einige wenige Regeln befolgen, der Rest kam von selbst.

Ich habe innerhalb eines Jahres wahnsinnig viel gelernt über das Gärtnern. Ackerte mich immer tiefer in das Wissen über Einjährige, Zweijährige, Stauden, Frühjahrsblüher und englische Rosen. Als im Herbst die ersten Blätter fielen, war ich mit dem Kopf schon mitten in der kommenden Gartensaison, habe geplant, bestellt, geschaufelt, eingepflanzt, gepflegt. Und nun hoffe ich.

Denn Hoffen, das kann ich genauso gut wie dazulernen. 2020, das war alles andere als einfach, aber was ist im Leben schon einfach? Halt!, nichts einfacher als das: mit dem sechsten Familienmitglied kuscheln. Miau.

Auf das Leben, cheers!

Und nicht vergessen:

Gott ist ein DJ.

Das Leben ist eine Tanzfläche.

Liebe ist der Rhythmus.

Wir sind die Musik.

2 Kommentare

  1. Wie schön endlich wieder etwas von dir lesen zu dürfen/können 🌈
    In ganz vielen Abschnitten sprichst du mir so aus der Seele.
    💚liche Grüße
    Christine

Schreibst Du mir? Wie schön, ich freu mich!

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