An diesem Wochenende steht das Erntedankfest in meinem Kalender. Ein fast vergessener Feiertag, der bis auf ein paar Feste und Umzüge in den Gemeinden wenig beachtet und kaum gefeiert wird. Im Gegensatz zu den Amerikanern mit ihrer Thanksgiving-Tradition und ihrem großen festlichen Familienessen, den Paraden und dem ganzen sonstigen Brimborium verpufft das Erntedankfest hierzulande unter „Ferner liefen“. Ich finde das sehr schade, denn der dahinterstehende Gedanke ist ein sehr guter: einmal im Jahr symbolisch Dank sagen für unsere Nahrung, die nicht weniger für uns tut, als uns am Leben zu halten.
Ich gebe zu, nicht immer ist es von Vorteil wenn ein Feiertag an gesellschaftlicher und medialer Bedeutung gewinnt. Denn das zieht nach sich, dass diese großen Jahresfeste zu einem einzigen großen Kassenhit mutieren, weil sie von der Wirtschaft missbraucht werden um den großen Reibach zu machen. Umso wichtiger finde ich es übrigens, dass wir uns als Konsumenten zurückhalten und dieser Kapitalisierung unserer Jahresfeste den Wind aus den Segeln nehmen. Denn wo keine Nachfrage mehr herrscht, schwindet auch das Angebot. Aber darum soll es hier gar nicht gehen.
Es geht mir vielmehr um das kleine Wort „Dank“ in Erntedankfest. Wir leben im großen Überfluss, nicht nur was die Nahrungsmittel betrifft. Uns mangelt es an nichts. Außer vielleicht an Dankbarkeit. Wenn ich nur mein kleines Leben betrachte, dann fallen mir oft viele Gründe ein, unzufrieden zu sein. Ich finde mich gerade zu dick, meine Haut ist ein Kriegsgebiet, die Kinder nölen nur rum, die Butter ist zu teuer. Wenn ich mich aber in der Welt so umschaue, braucht es gar nicht lange, bis meine Problemchen in das richtige Licht gerückt werden und ich eine große Dankbarkeit empfinde.
- Ich bin dankbar, dass ich nicht vor der Entscheidung stehe, ob ich in meiner Heimat bleibe und meine Kinder vielleicht von einer Bombe getötet werden oder ob ich unser gesamtes Leben hinter mir lasse, um sie vor den Bomben zu schützen, sie aber stattdessen vielleicht ertrinken werden
- Ich bin dankbar, dass ich nicht ohnmächtig zuschauen muss, wie meine Kinder hungern, während auf der anderen Seite der Welt gute Lebensmittel en masse weggeworfen werden
- Ich bin dankbar, dass meine Kinder nicht an Masern oder Polio sterben, weil wir keinen Zugang zu guten Impfstoffen haben
- Ich bin dankbar, dass wir unseren Sohn bei seiner Geburt nicht verloren haben, weil die medizinische Versorgung seine Rettung einfach nicht hergegeben hat
- Ich bin dankbar, dass ich soviel Wasser trinken kann, bis mein Durst gelöscht ist und ich immer genug Wasser zum spülen und baden habe, ohne mir Sorgen machen zu müssen, dass meine Ration nicht reicht
- Ich bin dankbar, dass ich meine Meinung frei äußern kann, ohne fürchten zu müssen, ins Gefängnis zu gehen und meine Kinder ohne Mutter zurücklassen zu müssen
- Ich bin dankbar, dass meine Kinder einfach Kinder sein können, ohne unter erbärmlichsten Bedingungen für den Familienunterhalt mitarbeiten zu müssen
- Ich bin dankbar, dass ich mir keine Sorgen darum machen muss, mit meiner Familie flüchten zu müssen, weil das Land in dem ich lebe, bald komplett überflutet wird wegen der Klimasünden anderer Länder
- Ich bin dankbar, dass ich keine Angst haben muss, dass Menschen, die mir nahe stehen ins Gefängnis müssen, weil sie die „falsche“ Person lieben
- Ich bin dankbar, dass meine Eltern mit mir in ein Land geflohen sind, in dem ich nach einem Studium einen qualifizierten Job und ein gutes Auskommen habe, anstatt mit Diplom in der Tasche im Niedriglohnsektor schuften zu müssen
Es tut gut, sich das ab und an mal vor Augen zu führen. Es schmeichelt der Seele, den Blick auf das Gute im Leben zu richten und ihm ein JA entgegenzubringen. Den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Spüren, wie gut es einem geht.
Jede Medaille hat zwei Seiten, so ist es doch im Prinzip auch mit der Welt in der wir leben. Wir hier haben verdammtes Glück gehabt, dass die Münze für uns auf die gute Seite gefallen ist. Das Glück war uns hold, aber wir sollten uns nicht anmaßen zu glauben, das wäre allein unser eigener Verdienst und die Anderen hätten es einfach nur falsch gemacht. Dieses Land mit seinem Überfluss ist ein großer Kuchen. Und es wird keinem von uns schaden, wenn wir anfangen, ihn mit denen zu teilen, die auch ein Stück davon verdient haben, weil wir diesen ebendiesen Kuchen zu großen Teilen auf ihrem Rücken gebacken haben.
Wir sollten demütig und dankbar sein und wir sollten versuchen, dieses Glück zu vermehren, indem wir es teilen.
Wofür bist du dankbar?
Barbara
Du möchtest diesen Text für später merken? Großartig.
(Klicke auf den Pinterest-Button unter dem Beitrag um diese Grafik pinnen zu können)
Liebe Barbara, Du hast so recht mit dem, was Du schreibst.
Wir vergessen leider viel zu oft die Dankbarkeit für Dinge, die uns selbstverständlich erscheinen, es bei genauerer Betrachtung aber gar nicht sind. Deshalb sind solche Artikel wie Deiner super wichtig!
Danke für deinen Kommentar, liebe Hannah. Auch ich muss mir das immer wieder bewusst machen. Es ist gut, wenn wir uns gegenseitig daran erinnern. Ganz liebe Grüße und einen schönen Sonntag dir, Barbara
Hallo Barbara,
was für ein schöner Beitrag. Ich finde, dass Du den Nagel auf den Kopf getroffen hast.
So manches Mal wenn meine Mitmenschen um mich herum jammern (die Arbeit ist so stressig, die Kinder räumen die Zimmer nicht auf…), denke ich mir: Was für ein Glück, du hast Arbeit, deine Kinder sind gesund genug um Chaos in ihren Zimmern zu veranstalten….
Uns geht es hier meistens gut, nur manchmal können wir es nicht sehen und wertschätzen.
Danke für Deinen Beitrag.
Viele Grüße von Tanja
Ja, liebe Tanja, das gilt wohl für uns alle. Ich erwische mich auch oft dabei wie ich über Unwichtiges meckere, das hat ja auch ein Stück weit seine Berechtigung. Aber es hilft, seine Probleme in einen größeren Kontext zu stellen. Manchmal zumindest. Wenn es das nicht tut, ist es auch okay.
Das sind sehr wertvolle Gedanken!
Danke liebe Isabelle für deinen Kommentar