Gestern war der letzte Kindergartentag meines ersten Kindes. Ich holte meinen fünfjährigen Sohn ab mit einer kleinen symbolischen Schultüte in der einen und einem Geschenk für alle seine Erzieher(innen) in der anderen Hand. Die Schokolade war gedacht als Zeichen unserer Dankbarkeit für alles, was sie für unseren Sohn getan haben in den letzten drei Jahren. Sie war umwickelt mit Danksagungen für
das Rumtoben ° das Basteln & Malen ° das Tränen trocknen ° Fehler machen lassen ° das Verarzten ° Nase putzen ° die schönen Feste ° das Vertrauen ° das Singen ° das Begleiten ° die Schulvorbereitung ° das Windeln wechseln ° das Backen ° das Vorlesen ° das an die Hand nehmen ° das Beibringen ° die Ausflüge ° das Engagement ° das Trösten ° das Lachen ° die Geduld ° die Gelassenheit
Ich habe die Danksagungen nach der tollen Vorlage von Jubeltage gestaltet und erst als ich diese vielen Dinge las, für die man den Erziehern des eigenen Kindes danken kann (und sollte) wurde mir nach drei Jahren so richtig klar, welche große Rolle sie im Leben meines Kindes gespielt haben.
Sie, liebe Erzieher, haben meinen Sohn nicht nur mit Essen, körperlicher Pflege und medizinischer Hilfe versorgt. Ihr Einfluss auf meinen Sohn geht weit darüber hinaus. Sie waren Miterzieher gemeinsam mit mir und meinem Mann. Sie haben unserem Kind gemeinsam mit uns die Welt und ihre Wunder gezeigt. In Büchern, in Liedern, in Gottesdiensten, beim Experimentieren, bei Ausflügen. Die Liste könnte man endlos fortsetzen. Im gemeinsamen täglichen Miteinander gaben sie ihm wertvolle Lektionen im menschlichen Umgang.
Nicht zuletzt und aus meiner Sicht am gewichtigsten, waren sie wichtige emotionale Bezugspersonen für mein Kind. Sie waren für ihn da, wenn er sich wehtat und Mama und Papa nicht zur Stelle waren. Sie haben ihn in den Arm genommen und ihn getröstet. Sie haben sich seine Sorgen angehört und haben ihm mit wertvollen Ratschlägen zur Seite gestanden.
Die Kindheit sollte eine Reise sein, kein Rennen.
Ich gebe zu, dass ich in den drei Jahren nicht mit allem einverstanden war, was sie getan oder geraten haben. Ich persönlich finde es bedenklich, das bereits drei-, vierjährige Kinder in Förderkurse gehen müssen, als gelte es, diese kleinen Menschen von klein auf zu optimieren. Ich persönlich finde, dass Kinder kein optimierungsbedürftiges Material sind, sondern Menschen, wie du und ich. Ich habe mal irgendwann irgendwo diese Worte vernommen: „Wir schicken unsere Kleinsten in ein Rennen, von dem wir gar nicht wissen, wo es enden wird.“ Wer von uns Erwachsenen kann schon alles gut, geschweige denn perfekt? Jeder Einzelne von uns hat seine Stärken sowie seine Schwächen. Warum gestehen wir das nicht auch unseren Kindern zu? Warum sprechen wir so oft von ihren vermeintlichen Defiziten, nur weil sie eine bestimmte Sache bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (noch) nicht gut beherrschen?
Kindheit ist keine Krankheit.
Immer wieder wurde ich von ihnen, den Erziehern, angesprochen, mein Sohn hätte eine schwache Körperspannung, seine Feinmotorik sei zu schlecht, er könne nicht gut einen Stift halten und damit malen oder schreiben. Wir hatten mehrere lange Gespräche, in denen sie mir wiederholt eine Ergotherapie ans Herz gelegt haben. Ich habe mich wiederum aus Überzeugung vehement gegen jegliche Therapie für mein Kind gewehrt. „Kindheit ist keine Krankheit“ war die Antwort unserer überaus erfahrenen und gelassenen Kinderärztin und ich bin mit ihr ganz d’accord. Weil ich meinen Sohn gut kenne und zwar weiß, dass die Feinmotorik nicht seine Stärke ist, aber weil ich gleichzeitig weiß, dass er ein außergewöhnlich phantasievoller, neugieriger kleiner Junge ist, der lieber Bücher über technische Details verschlingt und in seinen Gedanken ganze Welten erschafft, als feinmotorische Übungen zu machen oder zu malen. Seine Schwächen müssen nicht wegtherapiert werden, damit er ein vollwertiges Kind wird. Und auch wenn das sie als Erzieher verblüfft zu haben scheint, ich finde das in Ordnung.
Mein Sohn ist in Ordnung, so wie er ist. Er ist ein kognitives Genie, aber ein feinmotorischer Honk. So what? Ich kann sehr gut mit Worten umgehen, verschlinge Bücher, schreibe ganz gut, lerne schnell neue Sprachen, kann dagegen aber nur mit Ach und Krach rechnen. So what? Mein Mann ist ein Wunderkind der Naturwissenschaften und Geografie, er kann ihnen jede Flagge dieser Welt sofort benennen, aber er kann bis heute nicht richtig schreiben, weil er nur eine vage Krakelschrift hinbekommt. Feinmotorik und so. So what? Ich bin nicht weniger Mensch weil ich nicht alle Dinge dieser Welt gut beherrsche, mein Mann ist es nicht und unser Sohn auch nicht.
Unsere Zuversicht und Gelassenheit gegenüber unserem Kind gründet auf Vertrauen. Vertrauen in den Lauf der Dinge und Vertrauen in unseren Sohn. Entweder er braucht einfach ein wenig länger Zeit als andere Kinder um das Schreiben zu erlernen oder er wird es ein Leben lang nur so la la beherrschen. Er hat seine Stärken, diese werden ihn durch sein Leben tragen, so wie unsere Stärken uns durch unser Leben getragen haben.
Ich weiß aber auch, dass sie als Erzieher in ihrem Job oft nicht anders können. Ich weiß, dass der Staat und Bildungsinstitutionen ihnen diesen Berg an Dokumentation, diese vielen Tests und Fördermaßnahmen auferlegen, ohne sie, diejenigen, die teilweise bereits seit Jahrzehnten tagtäglich mit Kindern arbeiten und sie am Besten kennen, jemals dazu gefragt zu haben. Das ist ein Unding, wie ich finde, und es sollte nicht so sein. Mit ihrer Berufserfahrung und menschlichen Intuition können sie neben den Eltern am besten bewerten, was ein Kind braucht oder eben nicht. Wann Geduld und etwas liebevolles Stupsen gefragt sind statt Förderung und Therapie auf Biegen und Brechen. Ich weiß, dass Ihnen von rechts wegen aber kaum noch die Möglichkeit gegeben wird, den Kindern die Zeit zu geben, die sie manchmal einfach brauchen. Ich werde nie vergessen, dass ich ein Formular unterzeichnen musste, dass ich gegen ihre eindeutige Empfehlung auf eine Ergotherapie verzichte. Ich finde das erschreckend. Nicht für mich, sondern für die Erzieher in diesem Land, denen rechtliche Schritte drohen, wenn sie einem Kind und seinen Eltern bei ersten kleinen Anzeichen einer möglichen Unangepasstheit keine Therapie anraten. Ich verstehe ihre Lage und habe Verständnis dafür. Aber ich hoffe, sie haben auch Verständnis für meine Lage als Mutter.
Ich wollte nie ihren Beruf oder eine von ihnen persönlich angreifen mit meiner Haltung. Aber meine oberste Priorität ist das Wohlergehen meiner Kinder. Dafür würde ich selbst mit dem mächtigsten Tyrannen dieser Welt einen Krieg vom Zaun brechen. Ich möchte ihnen hiermit allen von Herzen danken, für den großartigen Job, den sie tagtäglich leisten. Sie tun nicht weniger, als die Menschen von morgen zu erziehen und ihre kleinen Herzen zu berühren. Es ist eine Schande und ein Armutszeugnis für eines der reichsten Länder der Welt, dass es seine Erzieher so schlecht bezahlt und ihnen so wenig Anerkennung zukommen lässt. Aber sie sollen wissen, dass wir Eltern sie und ihre Arbeit sehr wertschätzen.
Ich habe bis vor kurzem in einer Agentur gearbeitet, die daran mitgewirkt hat, das Image der Bundeswehr aufzupolieren mit dem Leitspruch „Mach, was wirklich zählt.“ Im Internet habe ich eine Gegenaktion dazu gefunden, dort steht geschrieben:
Mach das, was wirklich zählt! Werde Arzt, Pfleger, Lehrer oder Erzieher.
Ich wünsche Ihnen viel Nerven und Liebe im Herzen für ihre berufliche Zukunft. Vergessen sie nie; sie machen das, was wirklich zählt.
In tiefer Dankbarkeit
Barbara, Mama vom kleinen Mann
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Danke für diesen großartigen und vor allem ehrlichen Beitrag.
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